„Schau auf Zion, die Stadt unserer Feste! Deine Augen werden Jerusalem sehen,
den Ort der Ruhe, das Zelt, das man nicht abbricht, dessen Pflöcke man niemals mehr ausreißt, dessen Stricke nie mehr zerreißen.“
Dass Zion und Jerusalem zusammengehören, bekennt die Kirche von Anfang an. Am
besten verdeutlicht es der sog. Jerusalemer Kanon, das eucharistische Hochgebet, welches durch die antiochenische Kirche zu uns kam, so dass wir beten: „Gedenke aller Deiner
heiligen Orte, o HErr, die durch die Erscheinung Deines Christus und durch die Ankunft Deines Allheiligen Geistes verherrlicht sind: vor allem aber des herrlichen Zion, der
Mutter aller Kirchen, und Deiner auf dem ganzen Erdkreis ausgebreiteten heiligen, katholischen und apostolischen Kirche.“ Auffällig ist, dass sowohl in der Liturgie
als auch in der Hl. Schrift Zion und Jerusalem nicht dasselbe sind.
Ursprünglich war Zion eine Anhöhe, einer der Hügel Jerusalems, auf welchem die
Könige Israels residierten und herrschten. Der Tempel wurde von König Salomo auf dem benachbarten Hügel, dem Berg Morija, gebaut. Während des Tempelbaus stand das Zelt der
Stiftshütte mitsamt allen Geräten und Altären auf dem Königsberg. Nach der Vollendung des Tempelbaus wurde die Bundeslade feierlich in das Allerheiligste des Tempels übertragen
– dort ruhte dieselbe, bis sie gerade durch den Propheten Jesaja versteckt worden ist, um den Babyloniern nicht in die Hände zu fallen. Von daher können wir Gewissheit
haben, dass der Prophet Jesaja beides im Blickfeld hat, sowohl die Tempelanlage, die im Zuge der babylonischen Versklavung Israels verwüstet wurde, als auch das Inventar des
Bundeszeltes, welches er selber vor dem Zugriff der Eroberer verbarg. Anstatt vom Tempel zu schreiben, kündigt der Prophet eine beständige Bundeshaushaltung an, ein Zelt,
dessen Pflöcke man niemals mehr ausreißt, dessen Stricke nie mehr zerreißen.
Auf dem Berg Zion setzte Christus vor seinem Leiden das Opfer des Neuen Bundes ein,
und in derselben Halle versammelten sich die Apostel Jesu mitsamt den übrigen Jüngern bis nach dem Pfingstereignis zum Gebet und zur Begegnung mit dem Auferstandenen. Wo die
Könige herrschten, dort begründete der Sohn des wahren himmlischen Königs eine neue beständige Haushaltung, die Kommunion oder die Gemeinschaft aller Heiligen. Dadurch wurde
Zion zur Mutter des ewigen Jerusalems, zur Mutter der gesamten Kirche. Auf Zion versammelte sich die Jüngerschaft des Namens Jesu in jener Anzahl, welche dem erneuerten Hohen
Rat Israels entsprach – seit der Rückkehr der Erneuerer des Tempelberges zählte der Rat der mosaischen Siebzig 120 Personen. Das Synedrion, wie der Rat der Siebzig bei den
Juden und den Jüngern Christi am Königsberg hieß, wurde selbst im Evangelium (Mt 5, 22b) erwähnt: „Wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des
Hohen Rates verfallen sein.“ Ebenso wissen wir, dass im Hohen Rat der Juden über Jesus debattiert (Joh. 11, 47) wurde, um ihn zu verurteilen. Es gab auch
eine Person desselben Rates, welche sich der Meinung des Hohen Rat nicht anschloss – Josef aus Arimathäa, der nach dem Bericht des Evangelisten Lukas (23, 25) den
Leichnam Jesu in seine eigene kostbare Grabstätte legte.
Für uns ist Zion folglich ein Inbegriff für die Königswürde Jesu Christi. Mit dem
Berg der vollendeten Gerechten verbinden wir auch die Träger des Hl. Amtes, welche dem Hohen Rat der Siebzig durch die höhere Amtsstufe angehören mögen. Diese Verbindung
zwischen Amt und Kirche wiedergibt am einprägsamsten der Hebräerbrief: „Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen
Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den
Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus, und zum Blut der Besprengung, das mächtiger ruft als das Blut Abels.“ (Hebr.
12, 22ff)
Daher betrachten wir die Pflöcke, die man niemals mehr
ausreißt, als die Verdienste der Wundmale am Auferstehungsleib Christi, in welchen unser Heil unwiderruflich begründet worden ist. Unter den unzerreißbaren
Stricken verstehen wir jenes Band, das uns auf immer und ewig an das himmlische Heiligtum anbindet, an Gott und seinen Sohn, wie auch untereinander – nämlich die
Liebe! Aus der Liebe zum Menschengeschlecht ist der Messias gekommen und unterwarf sich dem Gesetz und seinen irdischen Eltern, und im Wort und Werk ist uns Jesus von Nazaret
das Vorbild zur Nachahmung und Nachfolge Gottes.
Das Evangelium der Hl. Eucharistie am 4. HErrentag nach
Beschneidung bezeugt die Handlungsweise unseres Heilands. Die beiden Wunder, von welchen das Evangelium (Mt. 8, 1-13) spricht, halfen sowohl den Nahen, wie einem
Fremden, den Angehörigen des alttestamentlichen Gottesvolkes und einem Besatzer des Landes desjenigen, der heilig ist. Dabei lobte Jesus – im prophetischen Sinne
– den Glauben des Offiziers: „Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden.“ Denn wir alle, die den Namen Christi tragen, haben
in Jesu einen Weg beschritten, der uns durch die Zeit im Zelt unseres Fleisches Gott näher bringt, unerheblich davon, wo wir leben und welcher Nation wir angehören mögen. Und
doch: statt die Wüste zu durchwandern, leben wir in einer geweihten Behausung, dem Tempel des Heiligen Geistes, und werden im Glauben, Hoffen und in der Liebe erbaut und
geprüft, um aller Verheißungen würdig zu werden, auch dann, wenn wir noch immer mit dem Hauptmann sagen mögen: „HErr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein
Dach – aber sprich nur ein Wort, und Dein Diener wird gesund!“
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